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Montag, 9. Januar 2012

Hundeleben auf Kamtschatka

"Hier, zu St. Peter und Paul,
betrat ich zuerst
den russischen Boden."
Chamisso, Reise um die Welt
Marie-Theres Federhofer und Diana Ordubadi (Hg.)
Adam Johann von Krusenstern / Georg Heinrich von Langsdorff / Otto von Kotzebue / Adelbert von Chamisso: Forschungsreisen auf Kamtschatka 
2011, Fürstenberg: Kulturstiftung Sibirien 


"Im Sommer suchen sich die meisten Hunde ihre Nahrung selbst; sie halten sich in der Nachbarschaft der Seeufer oder an den Flüssen auf, und lauern auf die Fische, indem sie sich bis an den Bauch in das Wasser stellen und, sobald sich ein Fisch sehen lässt, mit einer solchen Sicherheit danach schnappen, dass ihnen die Beute selten entwischt (...) Im Herbst werden die sich selbst nährenden Hunde vom Hunger wieder nach den Dörfern getrieben, wo sie denn von ihren Besitzern aufgefangen und angebunden werden, damit sie sich bei der bevorstehenden Schlittenfahrt nicht entfernen können. Sie sind alsdann sehr fett und erhalten täglich nur ein kleines Stückchen getrockneten oder gefrorenen Fisch; zuweilen auch in einigen Tagen gar nichts, damit sie nach und nach wieder mager werden; denn ein fetter Hund ist schwerfällig und zum Ziehen ungeschickt.
Tag und Nacht geben sie ihren Hunger und ihre Klagen über die verlorene Freiheit durch ein fürchterliches Geheul zu erkennen, und da jeder Kamtschadale wenigstens sechs Hunde, d. h. so viel als er für den Anspann vor einen Schlitten nötig hat, besitzt, so finden sich in einem Dorfe von fünfzehn bis zwanzig Einwohnern, wenigstens an 120 bis 140 Hunde, die, sobald nur einer seine Stimme zu erheben anfängt, alle auf einmal ein fürchterliches Heulen ertönen lassen. Bei dem ungeheuren Überfluss der Fische im Sommer und dem Mangel an Zeit sie zu reinigen und zu trocknen, werden große Gruben gegraben und die Fische zu Tausenden in dieselben geworfen und mit Stroh, Brettern und Erde fest zugedeckt. Wenn in der Folge eine solche Grube geöffnet wird, so verbreiten die in faule Gärung übergegangenen Fische einen fürchterlichen, pestilenzialischen Gestank, der die ganze Nachbarschaft erfüllt, aber auf die Geruchsnerven der Kamtschadalen, wie es scheint, keinen besondern Eindruck macht. Dergleichen stinkende Fische machen, nebst anderem Aas, die Leckerbissen der Hunde aus, und werden ihnen nur zuweilen in kleinen Portionen gegeben." So farbig schreibt der deutsche Naturforscher Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff über die Behandlung der Schlittenhunde auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka. Langsdorff reiste, wie einige Jahre später Chamisso, als Wissenschaftler auf einem russischen Forschungsschiff um die Welt. Ein Buch der Kulturstiftung Sibirien versammelt nun seine Studien über Kamtschatka, den Bericht des Kapitäns Krusenstern, sowie die Texte Chamissos und seines Kapitäns Kotzebue über ihren Aufenthalt auf der Halbinsel. Aufsätze der Herausgeberinnen Marie-Theres Federhofer und Diana Ordubadi stellen die Autoren, den Entstehungszusammenhang und die Wirkung ihrer Texte vor. Demnach war Chamisso nicht der erste, der sich über das Verhalten der russischen Kolonialherren empörte. Bereits Lehndorff, schreibt Ordubardi, "verurteilte das Verhalten russischer Soldaten auf Kamčatka auf das Schärfste, die seiner Ansicht nach nicht nur ein faules Leben auf Kosten der Indigenen führten, sondern in vielerlei Hinsicht zum Niedergang der ganzen Halbinsel beitrugen. Denn diese weigerten sich außer militärischen irgendwelche anderen Dienste zu leisten und beanspruchten oft sämtliche Wintervorräte der örtlichen Itelmenen für sich, was für die Einheimischen eine bittere Hungersnot und den Tod ihrer Zughunde bedeutete. Zur Wiederherstellung der Disziplin schlug Langsdorff vor, die Soldaten zu Ackerbau und Viehzucht oder wenigstens zum Kirchenbau zu zwingen. Auf der Basis eigener Berechnungen und gesammelter Daten legte er dar, dass Boden und Natur auf Kamčatka für eine erfolgreiche Landwirtschaft bestens geeignet seien. Langsdorffs Bemühungen blieben nicht erfolglos. Am 9. April 1812 unterschrieb Kaiser Alexander I. eine offizielle Bestimmung zur Reorganisation von Kamčatka". Die schöne, mit ausführlichen Registern ausgestattete Publikation kann hier bestellt oder im PDF-Format heruntergeladen werden.

Marie-Theres Federhofer und Diana Ordubadi (Hg.)
Adam Johann von Krusenstern / Georg Heinrich von Langsdorff / Otto von Kotzebue / Adelbert von Chamisso: Forschungsreisen auf Kamtschatka
[Auszüge aus ihren Werken]
Mit Essays von Marie-Theres Federhofer und Diana Ordubadi.

2011, Fürstenberg: Kulturstiftung Sibirien
190 pp., 2 farb. Abb., 16 x 22,5 cm
Euro 28, Hardcover, ISBN: 978-3-942883-81-8

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