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Dienstag, 22. Oktober 2013

Ein verschollenes Opernlibretto? Über eine fiktive Begegnung zwischen Chamisso und Franz Xaver Mozart im Jahr 1820

Von Peter Sührung (Berlin). Für den Fall, dass noch nicht alle Chamisso-Freunde davon Notiz genommen oder es mit Vergnügen gelesen haben: Dieter Kühn hat in seiner zu höchstens einem Achtel dokumentarischen und zu mindestens sieben Achteln fiktiven Biografie des jüngeren,1791 geborenen Sohns von Wolfgang A. Mozart, des in Lemberg (damals österreichisches Galizien, heute Ukraine) als Pianist, Dirigent und Komponist wirkenden Franz Xaver Mozart, die nicht ganz abwegige, gut erfundene Idee ausgeführt, ihn mit Adelbert von Chamisso zusammentreffen zu lassen. Die in dem noch lieferbaren Fischer-Taschenbuch Nr. 17914 Ein Mozart in Galizien im Jahr 2008 erschienene Schilderung (auf den Seiten 362-384) zeugt von intimen und geschickt ausgebreiteten Kenntnissen Kühns der damaligen Lebens- und Produktionsbedingungen von Chamisso.
Auf einer von Lemberg aus unternommene Konzertreise, die ihn zunächst nach Kopenhagen zu seiner Mutter Constanze Mozart, verheiratete Nissen, führt, gelangt Fr. X. Mozart dann über Schwerin und Hamburg auch nach Berlin. Mutter Constanze sucht seit langem nach einem Sujet, das ihren Sohn dazu beflügeln könnte, endlich außer den quantitativ geringfügigen, aber qualitativ durchaus eigensinnigen (übrigens überlieferten) konzertanten Kompositionen endlich eine veritable Oper zu komponieren. Sie wendet sich von Kopenhagen aus zunächst an Fouqué, der aber nichts Neues liefern will und sie an Chamisso verweist. Diesem versucht sie die Sache dadurch schmackhaft zu machen, dass sie ihm erklärt, es solle sich um etwas Exotisches handen. Für Fr. X. Mozart, der von den Briefen seiner Mutter an die beiden Berliner Dichter nichts ahnt, wird während eines etwas wahrscheinlicheren, außerdem natürlich trinkfreudigen Treffens mit E.T.A. Hoffmann und vermittelt von Eduard Hitzig eine Begegnung mit Chamisso inszeniert. Dieser lässt sich animieren, aus der noch in der Schublade ruhenden, unveröffentlichten Geschichte des auf der Rurik mitreisenden Insulaners Kadou von der Inselkette Ratak mündlich etwas preiszugeben und sie in ein Opernlibretto umzuwandeln. Es hat den Titel: Die Überfahrt. Die Hauptfigur des Omeia wird auf dem Dreimaster Endurance von Kapitän Fourneaux während der Rückfahrt nach England grausam domestiziert. Zu welchen musikdramatischen Ideen dieser Stoff Fr. X. Mozart anreizt, wird von Kühn mit seinem sprichwörtlich guten Musikverständnis sehr eindringlich beschrieben. Aber auch die Situation und die Einstellungen Chamissos werden sehr kenntnisreich und treffend geschildert. Chamisso gewann seine dichterische Produktivität meist aus gegebenen Anlässen, aus gesuchten Gelegenheiten und solchen, die ihm in den Schoß fielen, die ihm gelegen kamen und dann zu Schreibanlässen wurden. Wir kennen seine so entstandenen Gelegenheitsgedichte. Dinge und Ereignisse wurden ihm zu profanen Inspirationsquellen, Dichten angelegentlich von Begegnungen mit Dingen und Personen und überlieferten Fällen (historischen oder aktuellen) war sein bevorzugtes Metier. Diese von Kühn bei Chamisso aufgespürte Schreibweise nimmt er zum Ausgangspunkt für ein zufälliges und spontanes Entstehen einer neuen antikolonialistischen Humanitätsoper nach Montezuma
Schade, dass alles nur erfunden ist.

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